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Gedanken zur Reise in die Vergangenheit
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Datum:
14. Okt. 2023

Vor Kurzem habe ich meinen Kindern alte Tagebuchaufzeichnungen meiner verstorbenen Tante zum Lesen gegeben. Als sie diese Aufzeichnungen schrieb, war sie 16 Jahre alt und etwas jünger als meine Kinder heute. Darin hatte sie versucht, Tage und Erfahrungen an ihre Flucht aus dem damaligen Ostpreußen festzuhalten. Die Angst und die Bedrohungen der russischen Besatzer aus dem Osten trieben damals meine Großeltern mit ihren neun Kindern aus ihrer Heimat gegen Westen. Sie hatten keine andere Wahl, als zu fliehen. Wie es mit ihrem Leben weitergehen sollte, das wussten sie nicht.

Für mich stellt sich aber die Frage, warum sie sich die Mühe gemacht hat, so viele Orte und Erlebnisse auf ihrem Fluchtweg über die Masurische Seenplatte und das Haff zu beschreiben, wo es doch keine schönen Erinnerungen sind? Es hat nichts mit Herzkino zu tun. Im Gegenteil sind es Erfahrungen von Angst und Krankheit auf ihrem Weg, aber auch von Hilfe und Zusammenhalt in der Familie. Man hofft darauf, dass diese Geschichte ein Happy End findet. Diese Fluchtreise nimmt tatsächlich auch ein gutes Ende, weil die Großfamilie für einige Jahre eine Bleibe auf einem Gutshof in Schleswig-Holstein findet und mitarbeiten darf. In der Nachkriegszeit verstreuen sie sich in Mittel- und Süddeutschland.

Meine vier Geschwister und ich wollen nun noch einmal an den Heimatort meiner Großeltern im heutigen Polen fahren und uns auch Stationen des Fluchtwegs anschauen, um zu verstehen, was mein Vater, seine Geschwister und unsere Großeltern auf sich genommen haben, damit wir heute leben können. In ihren Tagebucherzählungen und aus den Familiengesprächen der letzten Jahrzehnte wird immer wieder deutlich, dass ihr Glaube ihnen den Weg gezeigt hat. Ihre Hoffnung und Zuversicht wurden auf eine harte Probe gestellt, aber in allen Biografien zeigte sich, dass der Zusammenhalt und der Glaube an Gott ihnen Kraft gibt. Heute sind die meisten der neun Kinder bereits verstorben, aber diese Reise unternehmen wir auch, um unseren Kindern zu zeigen: Ihr habt eine Zukunft. Vertraut darauf, dass auch in heutigen Krisen Gott mit euch auf dem Weg ist.

Roland Hinzmann, Leitungsteam Pastoraler Raum Bernkastel-Kues